Die geheime Zutat

16.08.2018

Benjamin Unger , Spitzenkoch und Gesellschafter des Hotels Blauer Engel in Aue , verrät Boris Kaiser seine geheime Zutat, die nicht nur in der Küche die richtige Würze mit sich bringt.

Es gibt Orte, die einen verwandeln. Der ´Blaue Engel´ in Aue ist so ein Ort. Wir treten nach einigen Stunden aus dem Vier-Sterne-Hotel wieder hinaus in einen mittlerweile sonnigen Tag. Hinaus auf die geschäftige Schneeberger Straße, den Blick in Richtung Marktplatz gerichtet, und fast scheint es, als könnte man alles wieder hören: die Hufschläge der Pferde , das Knarren und Ächzen der schweren Wagen, die mit Kaolin beladen in Richtung Chemnitz die Zollschranke passieren, auf ihrem mühevollen Weg bis nach Meißen, um dort dem königlich-sächsischen Porzellan seine wertvollste Zutat zu liefern. Stimmengewirr aus der Gaststube, gedämpft widerhallend unter einer tausend Gulden teuren Decke, die Gespräche Veit Hans Schnorrs des Jüngeren und seiner Nachfahren mit anderen Bergherren, Kaufleuten und Abgeordneten der erzgebirgischen Städte. Es ist 1663, 1720 oder 1885. Der ´Blaue Engel´ hat seine Pforten geöff net, ist da für die „Leit“. Unverrückbar. Einmal durch ein Feuer schwer verwundet und doch niemals untergegangen.

Der Mann, der diese überraschende Zeitreise möglich gemacht hat, verabschiedet sich mit einem blinzelnden Lächeln in der Mittagssonne. Benjamin Unger, Jahrgang 1979, geht jetzt wieder ins Herz seines Hauses, in seine Küche – so wie nahezu jeden Tag, mit einer traditionellen Ausnahme: dem Heiligabend, denn dann und nur dann ruht der Betrieb, die Flammen im Herd erlöschen für einige Augenblicke, und der ´Blaue Engel´ erlebt eine kurze Atempause. Man darf sich Benjamin Unger dennoch nicht als getriebenen Menschen vorstellen, vielmehr ruht in ihm die Zuversicht und die Gelassenheit eines vorausschauenden Unternehmers, angereichert von einem beeindruckenden Wissen um Heimat,
Menschen und die Geschichten, die man sich hier erzählt. Und zwischen all dem blitzt immer wieder die Freude und ungezügelte Kreativität eines ausgezeichneten Küchenchefs hervor, der die Erfahrungen seiner eigenen Walz durch die Küchen der internationalen Feinschmeckergastronomie heute dort einsetzt und weiterentwickelt, wo sein Herz schlägt: in seiner Heimat, in seinem Erzgebirge .

Ich koche nicht für Zielgruppen, sondern für Menschen.

Wir sind mit einer dieser fixen Ideen angereist, mit der Frage nach der geheimen Zutat, der Grundlage für den beeindruckenden Erfolg des Vier-Sterne-Hauses, seiner ausgezeichneten Feinschmeckerküche und des tadellosen Rufes, der weit über die Grenzen Sachsens  hinausreicht. Wir werden eine Antwort darauf erhalten, aber sie wird unerwartet anders ausfallen.

Benjamin Unger führt ein Familienunternehmen, gemeinsam mit seinem Bruder Claudius, seiner Mutter Ute, übernommen vom Vater, Tilo Unger, der bereits seit 1977 Leiter des Hauses war und es ab 1991 als privater Unternehmer weiterbetrieb. Es ist das erste Mal in seiner mehr als 350-jährigen Geschichte, dass der ´Blaue Engel´, der einst schon die Namen ´David Rehm Gasthof´ und ´Zum güldenen Stern´ trug, im Besitz eines Eigentümers verbleibt. Hier, am traditionsreichsten Platz der Stadt Aue, wird also tatsächlich eine neue Tradition geboren, nach all der Zeit. Liegt darin schon das Geheimnis?

Oder versteckt sich irgendwo zwischen den Grundmauern aus dem 17. Jahrhundert und dem 2003 wiederhergestellten Zwiebelturm, an der Gründerzeitfassade entlang der Marktplatzfront, nicht doch eine wohlbehütete geheime Zutat?

In der eigenen Hausbrauerei ´Lotters Wirtschaft ´ lässt Braumeister Willi Wallstab die Welt der Zutaten zunächst ebenfalls im Verborgenen und lädt dazu ein, sich Mögliches und Wahrscheinliches auf der Zunge zergehen zu lassen und mit allen Sinnen aufzuspüren. Die überraschende Auflösung des mildhopfigen und nussigen Rätsels ist ein Maronenbier, das hier gerade in kleiner, feiner Hausmenge auf seine
endgültige Reife wartet – ein Experiment, mit Neugier und Begeisterung angegangen und letztlich geglückt, sehr zur Freude von Braumeister und Chefkoch, denen der gemeinsame Stolz am Ermöglichen des scheinbar Unmöglichen deutlich anzumerken ist. So wie damals, als sie ein Bier mit einem Riesling-Hopfen angesetzt hatten, und das fertige Ergebnis Benjamin Ungers Freunde und Kollegen in allen Ecken der Gourmetrepublik Deutschland begeisterte. Denn auch dieses Bild lässt sich hier schnell geraderücken: Die Welt der Spitzenköche, das ist nicht nur der gnadenlose Wettbewerb um Sterne, das sind nicht ausschließlich Kochduelle de luxe, ausgetragen via Restauranttester und Boulevard-Presse.

Jeunes Restaurateurs (JRE) nennt sich die Vereinigung der jungen Spitzenköche, in die Benjamin Unger aufgenommen wurde. Das geschieht bei den JRE nur, wenn ein Mitglied der Gemeinschaft diesen Zugewinn empfi ehlt, als Pate und als Freund. Der Geist des Zusammenhalts wird bestimmt durch die Lust am Kreieren, am Experimentieren, aber auch durch die Verantwortung für den Einsatz qualitativ hochwertiger
Produkte, mit Sorgfalt zusammengestellt, besonders aus den jeweils heimischen Regionen der Spitzenköche. Für diese Haltung unterschreibt Benjamin Unger gern mit seinem Namen, auch wenn er als Spitzenkoch mit seinem Gourmetrestaurant ziemlich allein auf weiter Flur zwischen dem kulinarisch reicheren Dresden und dem Genussland Franken angesiedelt ist, und – nicht nur aus diesem Grund – sind die Lieferantenbeziehungen für die Komposition der Zutaten seiner Gerichte alles andere als einfach zu gestalten. Benjamin Unger begreift in diesem Sinne eher Sachsen als Region, und für manche Produkte oder Zutaten geht eben doch kein Weg am etwas weiteren Weg vorbei. Dennoch: Unbeirrt entwickelt er seine Heimat kulinarisch weiter, versucht, seine unmittelbare Umgebung nicht nur neu zu entdecken und
in seinen Gerichten zu interpretieren, sondern auch andere Menschen davon zu überzeugen, mit ihm gemeinsam noch mehr Genuss, Gesundheit und Heimat auf die Teller zu bringen. Immer wieder investiert er ebenso viel Zeit und Einsatz in neue Lieferantenbeziehungen und gemeinsame Produktentwicklungen wie in die Kreation neuer Gerichte. Wie auch in der Küche gilt: Nicht alles gelingt, aber der Versuch
ist immer mehr wert als jedes Zögern. Benjamin Unger moderiert und kocht seit vielen Jahren für den regionalen TV-Sender ‚erzTV‘, motiviert Mitstreiter unter den ortsansässigen Händlern dazu, mehr zu investieren als zu lamentieren und befähigt im ´Blauen Engel´ unter anderem selbst drei Auszubildende, sowohl in der Küche als auch im Hotelbereich.

Unterwegs als Botschafter

Alle Botschafter im Überblick


Dieses Verbindende, das Rastlose und die Freude am Erneuern, versteckt sich darunter die geheime Zutat für den Erfolg? ,,Salz ist wichtig in der Küche, das gehört immer mit dazu”, untertreibt Benjamin Unger charmant auf die direkte Frage. Mit den Kindern, so erzählt er mit väterlichem Stolz, erkundet die Familie Unger am Wochenende schon einmal die Wälder, die direkt hinter dem eigenen Haus beginnen, auf der
Suche nach Räuberhöhlen und anderen Naturwundern und manchmal eben auch nach Kräutern und heimischen Pflanzen mit spannenden Aromen. Die eine oder andere alte oder neue Bekanntschaft landet dann tatsächlich in Topf, Pfanne und auf dem Teller. Ein über  Tannenzapfen geräuchertes Kalbsbries, das Chateaubriand mit heimischen Steinpilzen oder – wie Benjamin Unger hervorhebt – „echt Hammer-schmeckende Wasserkresse”. Die Schatzkammer Erzgebirge ist gut gefüllt, und weitere schmackhaft e Entdeckungen warten noch auf ihre kulinarische Veredlung, vielleicht für eine neue, besondere Note in Suppen, Soßen und Fonds für Benjamin Ungers Kreationen. Letztere lagern gemeinsam mit edlen Weinen und anderen exquisiten und ganz gewöhnlichen Zutaten im wohltemperierten, altehrwürdigen Kellergewölbe des ´Blauen Engels´, eine Kühl- und Schatztruhe, auf die man sich verlassen kann, aber auch hier machen die Gedanken des spitze-kochenden Geschäftsmanns nicht vor der Zukunft halt. Der erste Ort auf dem Rundgang durch sein Vier-Sterne-Haus, den
uns Benjamin Unger gezeigt hatte, war der derzeit im Umbau befindliche Technikraum, in dem gerade Heizung und Kühlung komplett auf den neuesten technischen Stand der Zeit gebracht werden – eine sechsstellige Investition, die sich rechnen wird, dessen ist sich Benjamin Unger gewiss. Was ihn so sicher macht? Seine geheime Zutat.

Die geheime Zutat ist Intuition,

denn die braucht man, um alles zusammenzuführen. Du musst ein gutes Gefühl dabei haben, und wenn du das gute Gefühl mit reinbringst, egal, ob ins Glas, auf den Teller oder wie hier in diesen Raum hinein, dann werden deine Gäste auch ein gutes Gefühl haben, sagt Benjamin Unger am Tisch seines gerade nach Umbau neu eröffneten Gourmetrestaurants ´Sankt Andreas´, das er vom feinen Salon im klassizistischen Stil in ein modernes Ambiente verwandeln lassen hat. Alles Interieur vermittelt geschickt zwischen Tradition und dem Hier und Jetzt und öffnet dabei den Raum für alle Sinne. Einen Tisch umrahmen zwei Bilder mit gepressten Margeritenwiesen, sie bilden eine dezent betörende Einheit und verströmen den Duft des sommerlichen Erzgebirges, ihnen gegenüber der Kontrast aus dunkler Vanille. Die Intarsien in den Möbeln greifen traditionelle Formen auf, geschaffen hat sie aber ein Laser. Das Feuer in den Kaminen ist digital, optisch präsent und dennoch bleibt der Raum angenehm temperiert. Das ist im Übrigen für ein genussvolles Essen wichtig, denn so hat der Körper die Entspannung, sich auf die Aromen und den Genuss zu konzentrieren, ergänzt der Küchenchef. Hervorragend essen und dabei etwas dazulernen, auch das geht im ´Blauen Engel´ als Gast bei Ungers.

Die Geschichte wäre an dieser Stelle noch längst nicht zu Ende, obwohl sie genau das jetzt ist. Aber die Fortsetzung zu erleben, das ist möglich, an der Ecke Schneeberger- und Bahnhofstraße, im Hotel ´Blauen Engel´ in Aue, jeden Tag außer – Sie wissen schon.


Hotel Blauer Engel GmbH

Altmarkt 1

08280 Aue

Fon : +49 3771 / 5920

Email : info@hotel-blauerengel.de

www.hotel-blauerengel.de

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