Hightech im Land der Männelmacher
Von Hendrik Lasch, Grünhainichen
Das Erzgebirge ist weltweit als Weihnachtsland bekannt. Dass in der Region neben Pyramiden auch industrielle Spitzenprodukte entstehen, wissen dagegen nur wenige. Eine Kampagne soll das ändern – damit Investoren kommen und Fachkräfte bleiben.
Die angeblich sichersten Tore der Welt werden zwischen dem Waldrand und einer Eigenheimsiedlung gebaut, eben »hinter den sieben Bergen«, wie Michael Simon mit einem leichten Schmunzeln sagt. Der 52-jährige Ingenieur ist Chef der Firma Zabag, die ihren Sitz in einer unauffälligen grün-weißen Halle am Rand des erzgebirgischen Dörfchens Grünhainichen hat. Auf dem Unternehmensgelände neben dem Spritzenhaus der Freiwilligen Feuerwehr begann der Ingenieur vor 21 Jahren mit dem Bau von Zäunen, wie sie viele Sportplätze und Einfamilienhäuser landauf, landab umgeben. Das war einmal. Heute fertigen Simon und seine 90 Mitarbeiter Tore, die weltweit als praktisch unüberwindbar gelten. Sie schützen deutsche und US-Botschaften, internationale Flughäfen, Atomkraftwerke und Gefängnisse. Manche sind so stabil, dass selbst anrollende Kleinlaster aufgehalten werden können. »Wir haben ein Metallseil in das Tor integriert«, sagt Simon, »an dem bleibt das Fahrzeug hängen.«
Aufholjagd hinter den sieben Bergen
Firmen wie die von Simon, die trotz demonstrativer Bescheidenheit zu den Marktführern in der Bundesrepublik gehört und in naher Zukunft die Nummer eins werden will, werden im Erzgebirge nur von wenigen vermutet. Die Region ist eher als Weihnachtsland bekannt; ihr Name lässt an Schwibbögen denken, deren Licht in verschneite Nächte fällt, oder an heimelige Stuben, in denen Räuchermänner geschnitzt werden. Simon empfand das hinterwäldlerische Image zunächst als Vorteil. Als er sich einen Namen in der Branche zu machen begann und lukrative Aufträge an Land zog, habe die Konkurrenz verblüfft reagiert. »Hinter den sieben Bergen«, erklärt der Unternehmer, »konnten wir ungestört wachsen.«
Künftig aber möchte das Erzgebirge gern in einem anderen Licht gesehen werden als dem von Pyramiden und Lichterengeln. »Wir sind nicht nur das Land der Männelschnitzer«, sagt Matthias Lißke , Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Erzgebirge . Die Schnitzstuben locken, genauso wie tiefe Wälder, Naturparks und die gute Gebirgsluft, zwar viele Touristen in die Region; der Umsatz der Branche betrug zuletzt 883 Millionen Euro. Arbeit finden in den Hotels, Gaststätten und anderen Tourismusbetrieben aber nur drei Prozent der Erzgebirger.
Ein weitaus größerer Anteil arbeitet dagegen in Unternehmen wie der Zabag: 32 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse, so besagt eine aktuelle Statistik, entfallen auf die verarbeitende Industrie . Mit 91 Industriearbeitsplätzen auf 1000 Einwohner ist das Erzgebirge Spitze im Industrieland Sachsen. Besonders der Anteil von Metall- und Elektrofirmen liegt noch über dem Durchschnitt. Dazu gehören renommierte Zulieferer für die Autoindustrie wie die Aweba GmbH in Aue , die mit ihren über 400 Beschäftigten zu den größten Betrieben der Region gehört und Presswerkzeuge herstellt, aber auch kleine Start-ups wie Freiberg Instruments, das mit einer Handvoll Mitarbeitern seit 2005 innovative Messgeräte für die Solarbranche produziert, oder eben Zabag in Grünhainichen. Deren Tore dienen nicht einfach dem Einlass von Besuchern und dem Fernhalten von unerwünschten Gästen. Die Hightech-Pforten können wahlweise auch mit elektronischen Schleusen, Lichtschranken oder Einrichtungen zur Erfassung von Kennzeichen vollgestopft werden und bedienen jeden der in Zeiten des Terrors nicht eben bescheidenen Sicherheitswünsche. Selbst das saudische Königshaus war angetan und bestellte ein Zabag-Tor.
Bekannt sind Simon und sein Unternehmen jenseits des Erzgebirges freilich ebenso wenig wie viele andere Technologiefirmen. Das soll sich jetzt dank einer Kampagne ändern, bei der die Region mit Slogans wie »Wir haben untertage gegen Weltspitze getauscht« auf sich aufmerksam machen will. Der Spruch verweist auf die über 800 Jahre alte Tradition des Bergbaus, die ein Grundstein für heutige industrielle Vielfalt ist. Wo früher neue Technik zum Fördern und Verarbeiten des Erzes entwickelt wurde, wo Schmieden, Maschinenbaubetriebe und solche für die Holzverarbeitung tätig waren, entstünden auch heute innovative Produkte, sagt Wirtschaftsförderer Lißke: »Wir waren Hightech, und wir sind es noch immer.« Vor allem fertige man in der Region viele Erzeugnisse, die es in dieser Form anderswo nicht gebe: »Wir sind ein Standort fürs Spezielle.«
Unternehmer werden Erzgebirgs-Botschafter
Viele der meist mittelständischen Unternehmer unterstützen die Kampagne, etliche von ihnen sogar als offizielle »Botschafter«, die auf Messen und bei Firmenreisen auf die Vorzüge der Region aufmerksam machen. Auf diese Weise sollen weitere Investoren angelockt werden, nicht zuletzt aber auch dringend benötigte Fachkräfte. Firmenchefs wie Simon, der einst im Motorradwerk MZ in Zschopau arbeitete und heute immer noch verwundert den Kopf schüttelt, wenn er mit seinem Kompagnon bei der weltweit größten Anti-Terrormesse »Counter Strike« in London auftritt, loben zwar ihren »gute Stamm« an hervorragend ausgebildeten, einfallsreichen und bodenständigen Mitarbeitern als wichtiges Kapital. Viele haben von der auch in wirtschaftlich schwierigen Jahren noch guten Lehrlingsausbildung profitiert; Simon etwa hat 25 Lehrlinge seit 1995 ausgebildet und die meisten übernommen. Viele Arbeiter haben ihr Handwerk allerdings auch noch in DDR-Großbetrieben wie bei dem Hausgerätehersteller dkk oder bei MZ gelernt – vor über 20 Jahren.
Keine Zukunft mit Billiglöhnen
Das ist vielen Belegschaften anzusehen: Ein Drittel der Industriebeschäftigten im Erzgebirge ist inzwischen älter als 50. Viele Jüngere sind in den 90er Jahren weggezogen, weil es damals weniger und oft schlechter bezahlte Jobs gab. Selbst von den Erzgebirgern, die nicht den Wohnort wechselten, pendeln heute 7000 nach Bayern und Baden-Württemberg sowie 30 000 in andere Gegenden Sachsens, vor allem in die westsächsische Industrieregion um Chemnitz und Zwickau, aber auch bis nach Freiberg und Dresden – was angesichts der landschaftlich reizvollen, aber ermüdend langsamen Fahrten auf schlecht ausgebauten Bundesstraßen von beachtlichen Nehmerqualitäten und der sprichwörtlichen Genügsamkeit des Erzgebirgers zeugt.
Etliche von denen, die weggezogen sind oder pendeln, sollen zurückgeholt, zudem künftige Schulabgänger verstärkt in der Region gehalten werden. Neben dem Image als Land der Männelschnitzer muss das Erzgebirge dazu freilich noch einen unerwünschten Ruf abstreifen: den des Landes der niedrigen Löhne. Nach der Wende habe das Erzgebirge viele Jahre lang als Billig-Standort gegolten, bestätigt Eberhard Grünert , Chef der Firma Turck, die in Beierfeld aus einem Messgerätewerk hervorging und heute elektronische Steuerungen herstellt. Das Lohngefüge aber habe sich »deutlich geändert«, beteuert der Firmenchef. Zwar beantwortet er Fragen nach der Lohnhöhe ausweichend und erklärt nur, im Erzgebirge würden noch keine schwäbischen Löhne gezahlt. In Relation zu den niedrigeren Lebenshaltungskosten seien die Einkommen aber schon gut, und künftig müssten die knapper werdenden Fachleute zunehmend besser bezahlt werden. »Unsere Zukunft«, sagt Unternehmer Grünert, »besteht jedenfalls nicht in Niedriglöhnen.«
Quelle: Neues Deutschland, 06.06.2011