03.06.2025
Wie aus einem Kornspeicher der Buntspeicher wird
Neues Denken braucht kreativen Raum. Der findet sich im „Buntspeicher“. Er ist Teil des Projektes „SmartCity Zwönitz“, das sinnvolle Potenziale der Digitalisierung erschließen will. In einem historischen Fabrikgebäude entstand eine Infrastruktur für Innovationen. Ein neuer Anlaufpunkt für Menschen, um gemeinsam Ideen zu entwickeln.
Den Schalter im Kopf umlegen – auf Zukunft
Eine smarte, digitale Stadt kann nicht nur rein virtuell funktionieren und ist auch kein Selbstzweck, sondern braucht echte Begegnungspunkte. Davon ist Dr. Martin Benedict, CDO – Chief Digital Officer der Stadt Zwönitz , überzeugt: „Digitalisierung heißt, nicht nur Technik anzuwenden, sondern die Organisation neu zu gestalten, wie Menschen in Zukunft sinnvoll miteinander arbeiten können.“
Die gesellschaftliche Transformation, die wir derzeit erleben, berührt viele Bereiche in Wirtschaft, Technik, Politik und Kultur. Das sollten Menschen aktiv annehmen, meint Benedict. Er sieht seine Aufgabe darin, das Zusammenleben, die Daseinsvorsorge und die Wirtschaftsförderung von Zwönitz neu zu gestalten: „Wir wollen zeigen: In der Provinz ist etwas möglich. Und hier ist es schön.“
UNSER ZIEL IST ES, SCHALTER IM KOPF UMZULEGEN.

Egal, auf welcher Seite des Buntspeichers man aus dem Fenster schaut: Die Hügel des Erzgebirges sind im Blick. Das kräftige Grün schmeichelt dem Auge, bietet Momente der Entspannung beim Arbeiten. Dr. Martin Benedict deutet Lage und Weitblick darüber hinaus metaphorisch: „Uns geht es um die Erweiterung des Horizontes der Menschen. Wir müssen uns fragen: Welches Potenzial haben wir hier in der Region?“
Benedict nennt hierfür erfolgreiche Industriebetriebe sowie Firmen für Forschung und Entwicklung. Es stelle sich die Frage, wie diese Potenziale zukünftig noch sichtbarer werden, welche Innovationsimpulse gegeben und welche neuen Geschäftsmodelle etabliert werden können. Der CDO versteht sich als Initiator: „Unser Ziel ist es, Schalter im Kopf umzulegen.“ Auf Zukunft, versteht sich.
Aber wie kann ein historisches Gebäude dabei helfen? Der Buntspeicher ist selbst architektonisches Zeugnis eines mehrfachen Strukturwandels in der Region. Entstanden ist er 1912 als Buntweberei. Die Textilindustrie kompensierte damals wegbrechende Arbeitsplätze im niedergehenden Bergbau . Später diente er als Speicher für Getreide. Ab 1993 wurde darin ein Baufachmarkt betrieben. 2020 kaufte ihn die Stadt Zwönitz und ein mehrjähriger Sanierungsprozess begann.
Hier muss Leben in die Bude
Dr. Martin Benedict versteht den Buntspeicher als neue Form der Wirtschaftsförderung. Keineswegs hat er nur die Stadt Zwönitz im Blick, auch wenn er dort angestellt ist. Vielmehr soll die ganze Region von dieser Infrastruktur und ihren Möglichkeiten profitieren. Er wünscht sich, dass die Leute eines Tages sagen: „Zwönitz ist ’ne coole Stadt.“
Büros, Ateliers und Werkstätten, Event-Location mit Konferenz- und Meeting-Räumen, Makerspace und Coworking bieten „ein inspirierendes, kreatives Arbeitsumfeld“, so steht es auf der Website. Dazu gibt es schnellen Internetzugang, Parkplätze mit E-Ladesäulen, kostensparende Fernwärme, Postservice im Foyer, Küchen, Duschen und vieles mehr.
Das Haus allein mache aber noch keine neue Welt, so Benedict: „Hier muss Leben in die Bude.“ Für innovative Köpfe ist viel Platz. Einige Unternehmen sind schon eingezogen: die Firma Erzberger Verpackungssysteme entwickelt und produziert nachhaltige Verpackungen für Frischwaren; das Büro Qonzept berät Führungskräfte in der Industrie zur nachhaltigen Personalentwicklung; die Technische Restauration Werner Zinke GmbH nutzt Präsentationsflächen für Oldtimer. Mit weiteren Interessenten ist man in Kontakt.
Es treibt mich an, für unsere Haamit (Heimat) etwas Positives zu bewirken.
Gespräche führen, Menschen zusammenbringen, Technologie entwickeln, Heimatverbundenheit pflegen. Genau das spiegelt Martin Benedicts Persönlichkeit. Er ist in Annaberg-Buchholz geboren, in Neudorf/ Erzgebirge aufgewachsen, hat an der Westsächsischen Hochschule Informatik studiert und sieben Jahre in Zwickau gelebt, dann im Bereich Medizininformatik an der TU Dresden geforscht und 2020 promoviert. Vier Jahre hat er in Dresden gewohnt.
2018 ist er mit Frau und vier Kindern in die Heimat zurückgekehrt, hat in Cranzahl ein altes Haus gekauft, das er schrittweise modernisiert. In der Freizeit spielt er im Posaunenchor der Kirchgemeinde. Als die Stadt Zwönitz die Stelle eines Chief Digital Officers ausschrieb, bewarb sich Benedict sofort. „Ich wollte immer etwas machen, was Bedeutung hat, eine Arbeit, die gesellschaftlichen Nutzen stiftet.“ Im neuen SmartCity-Projekt konnte er sich gleich voll einbringen.
Der Kontrast zwischen dem dichten ÖPNV-Netz Dresdens und dem Bus-/Bahn-Angebot hier in der Provinz sei natürlich sehr groß. Aber mit dem ERZmobil, einem Rufbus auf Basis einer intelligenten digitalen App, schuf Benedict mit seinem Team und Partnern ein neues Mobilitätsangebot. „Unsere Erfahrungen sind sehr positiv, das wird langfristig Schule machen“, ist er überzeugt.
Provinz – dieser Begriff ist für Martin Benedict übrigens sehr positiv besetzt. Anstatt ihn aus dem Blickwinkel bestehender Defizite zur Großstadt zu sehen, definiert er ihn mehr aus der Perspektive der neuen Möglichkeiten und Zukunftsideen, die Menschen in der Kleinstadt gemeinsam verwirklichen können. Und das in einem landschaftlich schönen und kulturell reichen Umfeld.

Wir wollen Menschen mit Ideen zusammenbringen.
Ein progressives Mindset – ein positives Bewusstsein vom eigenen Können und Offenheit gegenüber Neuem – ist für den Zwönitzer CDO Martin Benedict dabei erfolgsentscheidend: „Das Erzgebirge ist eine Region, wo die Menschen über Jahrhunderte viele, teils sehr schmerzhafte Transformationen bewältigen mussten. Mit viel Fleiß und Zähigkeit, Innovation und Zusammenarbeit ist regionale Weiterentwicklung gelungen. Kultur und Tradition sind ein wichtiges Band, was die Menschen dabei zusammenhält – früher und heute.“ Und in Zukunft.
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Text: Carsten Schulz-Nötzold
Fotos: Dirk Rückschloss