Heute hier, morgen dort und immer noch Daheim

09.03.2021

Wir begleiten den Gewinner von THE VOICE OF GERMANY – wie wichtig Wurzeln für neue Wege sind.

Samuel Rösch: Musiker, Gewinner der Casting-Show „The Voice of Germany“ 2018, gebürtiger Erzgebirger. Ort des Interviews ist ein ehemaliger Supermarkt, den die Freie Evangelische Gemeinde Schneeberg zu ihrem Gotteshaus umgebaut hat. Samuel Rösch und seine Band sind das Highlight zur Eröffnung ihres Plus-Gemeindezentrums.

Anstelle von Regalreihen, Kühltheken und Getränkekisten laden Sofas in Cremetönen und große Zimmerpflanzen zum Ankommen ein. Der Duft von frischem Kaffee liegt in der Luft. Von sakraler Atmosphäre ist hier nichts zu spüren; freudiger Trubel durchzieht das gesamte Gebäude. Um ungestört über Wurzeln, Wachsen und Werden zu sprechen, bleibt nur das Büro des Pastors.

Mit einer Vita-Cola zum Casting

Samuel Rösch stammt aus Großrückerswalde. Die Gemeinde hat keine 4.000 Einwohner und ist idyllisch gelegen: Logisch, dass keiner bei „The Voice“ das Örtchen kennt. „Für viele war das Erzgebirge kein Begriff, Sachsen schon eher“, erinnert sich der 26-Jährige. „Mit der Vita-Cola in der Hand war klar, dass ich aus dem Osten kam. Insgesamt hatte Herkunft aber fast keine Relevanz.“ Samuel Rösch wird in dieser Zeit sein Elternhaus wichtiger denn je. Mit jedem Weiterkommen in Richtung Finale katapultiert es ihn aus Vertrautem heraus und groovt ihn auf die Frequenz des Musik- und Showbusiness ein. „Als Castingshow-Gewinner wird man innerhalb kurzer Zeit hochgeschossen. Das entspannt sich relativ schnell; es gibt ja dann den nächsten Finalisten. Man ist nicht mehr im Mittelpunkt, wie man es zuvor war.“

Das Singen, das Musikersein sehe ich als Geschenk

Gegenwärtig befindet er sich genau in diesem Prozess. Was ihn erdet, sind seine Frau, sein Glaube, seine Heimat. „Klar, ich habe über Jahre geübt, mir viel erarbeitet. Trotzdem habe ich nicht alles selbst geschafft. Das Singen, das Musikersein sehe ich als Geschenk“, sagt er. Diese Dankbarkeit und Demut gegenüber den Erfahrungen, die er ab 2018 machen durfte, sind echt und kein frommes Geschwätz. Er weiß, wer er ist und wer hinter ihm steht.

Jeder Fehler, den du machst, ist okay.

Daraus resultiert nicht nur sein 2019 erschienenes Buch „Ich glaub an dich“, sondern auch der Song „Mit dir“. „Das Lied ist an meine Eltern gerichtet. Sie waren immer für mich da, haben in mich investiert und geglaubt, dass ich die Sachen schaffe, vor denen ich stand“, erklärt er das Zustandekommen des Textes. Da liegt es auf der Hand, dass der Clip dazu Wohnzimmer-Feeling haben muss. Zusammen mit dem Videograf Simon Teucher, einem Annaberger Kumpel aus Teenager-Zeiten, entsteht in Rübenau der Film für die Akustikversion. Reduziert auf das Wesentliche; darauf, was eine in die Jahre gekommene erzgebirgische gute Stube ausmacht: Kachelofen, Schnitzereien, Teppiche, Holzleuchter, Gardinen. Die Kulisse ist so ehrlich, dass der Fokus auf den Zeilen zwischen den Zeilen liegt.

Diese Sicht möchte ich mir bewahren.

Authentisch ist er, der junge Mann. Kein Getue, keine ausgefallenen Backstage-Wünsche, keine Eigenvermarktungsfloskeln. Samuel Rösch ist ein Mensch der überlegten Antworten. Er verkörpert erzgebirgisches Understatement und versichert: „Von daheim habe ich mitgekriegt, dass man nicht noch einen draufsetzen, sich dauernd präsentieren oder auf die ‚Kacke hauen‘ muss. Für mich fängt das beim Catering an. Nein, Essen werfe ich nicht weg. Oder wenn große Festivals stattfinden, dem Techniker Danke zu sagen, für das, was er arbeitet. Das ist ein sauharter Job und die Leute haben als Freelancer oft nur befristete Einsätze. Jetzt, durch Corona, wissen viele nicht, wie es für sie weitergeht. Ohne sie würde es aber nie laufen. Dass nicht alles selbstverständlich ist, dazu hat mich mein erzgebirgisches Umfeld inspiriert. Diese Sicht möchte ich mir bewahren.“

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Unterwegs

In vielen seiner Sätze fällt das Wort: unterwegs. Es ist eine Metapher für sein Tun und jetziges Leben. Von jetzt auf gleich wird er „in Aufgabenbereiche hineingeworfen“, die er nicht kennt. „Musikproduktionen, das ständige Unterwegssein, technische Umsetzungen, Verschiedenes, das es zu beachten gilt, wenn man live spielt. Ich sehe in solchen Sachen Chancen, denke: ‚Cool, es gibt Neues zu lernen! Samuel, gib Gas!‘ “ Das „Heute hier, morgen dort“ bringt ihn in verschiedenste Kontexte. Er sieht, dass es nicht selbstverständlich ist, musikalische Bildung zu erhalten.

Im Nachhinein begreift er Kurrende, Jugendchor, Klavierunterricht beim Großrückerswalder Kantor als großes Geschenk. „Die Kirche bietet das an. Einfach so.“ Solche Einsichten kommen ihm in der Ferne, als er durch Deutschland tourt, andere Mentalitäten kennenlernt. „Ohne wegzugehen, fährt man womöglich einfach so im Fahrwasser mit, bricht mit seiner Heimat bzw. ihren Traditionen“, sagt einer, den die Region geprägt und nie so ganz losgelassen hat. Vielleicht ist er deshalb hier immer noch daheim.

Text: Beatrix Junghans-Gläser

Fotos: Isabell Fischer