Ab in die Schwamme!

09.09.2025

Die Pilzversteher von ReiPiKo

Pilze gehören zur erzgebirgischen Lebenskultur wie Räuchermännchen und Schwibbögen . Die Misch- und Fichtenwälder des Mittelgebirges bieten beste Bedingungen für Braunkappen und Ziegenlippen, Pfifferlinge und Butterpilz. Doch wusstet ihr, dass hoch oben auf dem Erzgebirgskamm auch Eichhase und Judasohr, Reishi und Maitake, Igelstachelbart und Schmetterlingstrameten wachsen? Allerdings nicht in den Wäldern, sondern unter optimalen Voraussetzungen in den Hallen von ReiPiKo – kurz für „Reitzenhainer Pilzkorb“. Inhaber Markus Münzner führt uns durch die Hallen.


Ein Paradies für Heil- und Edelpilze

Den „Reitzenhainer Pilzkorb“ gibt’s tatsächlich, gleich wenn man reinkommt in den Laden. Ein Holzkörbchen vollgepackt mit feinsten Edelpilzen – ein Fest für Augen und Gaumen. Kräuterseitling und Shiitake, Austernpilz und Samthaube, Friseepilz und Nameko – allein schon die Namen lassen Gourmets und Kennern der exquisiten Küche das Wasser im Mund zusammenlaufen. „Doch Pilze können so viel mehr als ‚nur‘ gut schmecken“, deutet Markus Münzner vielversprechend an und öffnet die Tür zu den Hallen.

Hinter dem Ladengeschäft, in dem es auch Produkte anderer regionaler Hersteller gibt, beginnt das Pilzparadies. Es sieht nicht ganz so romantisch aus, wie man es sich vielleicht vorgestellt hätte – statt moosbewachsener Waldböden erstrecken sich meterlange Regale mit Substrat, in denen die Pilzkulturen wachsen. Folienhüllen sorgen für die hohe Luftfeuchtigkeit, die Pilze so mögen. Beim Gang durch die verschiedenen Räume fällt auf: Überall herrscht unterschiedliches Klima. Mal ist es schwül, mal eher kühl. „Jeder Pilz mag etwas anderes“, sagt Inhaber Markus Münzner, und man spürt bei seinen Worten, dass er die Pilze wirklich versteht.

Wir glauben fest an die medizinische Wirkung der Pilze auf unseren Organismus

Stundenlang kann er davon erzählen, was jeder Pilz zum Wachsen und Gedeihen braucht, was für Eigenschaften er hat, welchen positiven Einfluss auf unsere Gesundheit. Denn bei dem, was Markus Münzner in seinem Pilzparadies in zweiter Generation fortführt, geht es um mehr als nur Genuss. „Wir glauben fest an die medizinische Wirkung der Pilze auf unseren Organismus“, sagt der Pilzexperte. Seine Frau ist Hausärztin und sucht immer nach natürlichen Alternativen, da viele Patienten herkömmlichen Medikamenten mitunter skeptisch gegenüberstehen.

Und so gleicht ihre Arbeit einem ernährungsmedizinischem Forschungsprojekt, bei dem Pilze unterstützend zum Einsatz kommen. Ob bei Diabetes, Rheuma, Gicht, Stoffwechselerkrankungen und sogar begleitend bei der Chemotherapie erweisen sich Pilze als nützliche Helfer aus dem Herzen der Natur . „Pilze haben im Ökosystem die Aufgabe, Giftstoffe zu binden und auszuschleusen“, erzählt Markus Münzner. „Sie reinigen den Organismus und entlasten damit das gesamte System. Diese Eigenschaft kann auch uns Menschen dienen und ein gesünderes Leben fördern.“


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Wohl auch aus diesem Grund gibt es in Asien weitaus mehr 100-Jährige als in Europa, denn Pilze spielen in der asiatischen Ernährung eine deutlich größere Rolle als hierzulande. „Während bei uns das Fleisch meist der Hauptbestandteil eines Gerichtes ist, sind es in Asien die Pilze“, weiß der Pilzkenner. Sein Lieblingspilz ist der Maitake: „Sehr aromatisch, würzig und mit der wunderbaren Nebenwirkung, dass er durch seine blutzuckersenkenden Eigenschaften einen positiven Einfluss auf den Stoffwechsel des Körpers nehmen kann. Damit wirkt er nicht nur unterstützend bei Diabetes, sondern kann sogar beim Abnehmen helfen.“ Die Kombination aus exzellentem Geschmack und positiven Auswirkungen auf den Körper ist es, was Markus Münzner am meisten an Pilzen fasziniert.

Sein Wissen dazu gibt er gemeinsam mit seinen fachkundigen Kollegen in Führungen und Vorträgen weiter. Dazu sind sie in ganz Deutschland unterwegs. Einmal im Monat findet eine Pilzführung in Reitzenhain, einem Ortsteil der Bergstadt Marienberg , statt. „Die Leute sollen sehen, wo unsere Pilze herkommen – denn bei uns wird wirklich alles hier vor Ort produziert! Wir sind einer der wenigen Anbieter von Pilzen und Trockenpilzprodukten in Deutschland, bei dem die Kundschaft die komplette Pilzproduktion unter einem Dach nachvollziehen kann. In unserem Pilzpulver sind ausschließlich Pilze drin. Bei Anbietern aus Fernost wird auch gleich mal das Substrat mit geschreddert“, berichtet Markus Münzner aus Erfahrung. 

Holzsubstrat statt Torf zum Schutz der Moore

Bei einem Rundgang durch die Hallen ist auch ein aktuelles Forschungsprojekt zu besichtigen. In einem wohltemperierten Anbauraum sprießen Pilzköpfe aus einem speziellen Holzsubstrat, das die Firma  ReiPiKo gemeinsam mit dem Institut für Holztechnologie Dresden entwickelt. „Pilze sind weder Tiere noch Pflanzen“, erklärt Markus Münzner. „In der Natur leben sie in Symbiose mit Bäumen, die ihnen über die Photosynthese den Zucker bereitstellen, die die Pilze für ihr Wachstum brauchen. Im Gegenzug filtern sie die Giftstoffe aus den Bäumen.“

In der kommerziellen Pilzzucht braucht es Ersatzsubstrate, auf denen die Pilze wachsen. Bisher wurde dafür oft Torf verwendet. Das wird jedoch bis Ende 2030 in der EU verboten sein, um den Torfabbau einzudämmen und damit den Erhalt der Moore zu sichern. Also sucht man nach alternativen Trägermaterialien. Das vom Holztechnischen Institut in Dresden entwickelte Substrat hat sich in der bisherigen Forschungsreihe als sehr geeignet für die Pilzzucht erwiesen. Die Erträge bei Champignons liegen bereits bei 80 bis 85 Prozent im Vergleich zum Torfsubstrat. „Unser Ziel ist es, mit diesem innovativen Holzsubstrat ein Produkt in Sachsen zu entwickeln und herzustellen, das wir europaweit und sogar global vermarkten können“, sagt Markus Münzner.

Bis zu 30 Wochen dauert es, bis die Pilze ihre Köpfe aus dem Boden stecken, bei manchen sogar 50 Wochen. In dieser Zeit wollen sie täglich gepflegt werden, auch an Weihnachten , Wochenenden und in Urlaubszeiten. Sechs Mitarbeiter kümmern sich gemeinsam mit Markus Münzner um das Wohl der Pilze. Mitte der 2000er-Jahre waren es teilweise über 100 Beschäftigte. 60 bis 100 Tonnen Pilze verließen damals pro Woche die Hallen, hauptsächlich Champignons. Heute produziert Markus Münzner in Reitzenhain weitaus weniger – dafür hat er sich auf die Zucht von Vital- und Edelpilzen fokussiert. Denn der positive Einfluss der Pilze auf den menschlichen Körper liegt dem Pilzversteher wirklich am Herzen. 

Schon gewusst?

Im Erzgebirge heißen Pilze „Schwamme“ – wegen der porösen Unterseite, die an ein Schwämmchen erinnert. „In de Schwamme giehn“ oder „schwammeln“, also Pilzesammeln, ist eine der Lieblingsbeschäftigungen vieler Erzgebirger. 

Text: Sylva-Michèle Sternkopf
Fotos: Erik Wagler