SERIE: SACHENS HELLE KÖPFE - Zu Hause in der Wohlfühlwelt
VON RAMONA NAGEL
AUE - Hinter Michael Bauer liegen ereignisreiche Messetage. Als Fachbesucher zur internationalen Möbelmesse in Köln hat er die Trends beobachtet. Unmittelbar davor präsentierte sich das Textilunternehmen zur weltweit größten Messe für Heimtextilien in Frankfurt am Main zum vierten Mal in Folge im Premiumbereich. Hier darf nicht jeder rein, die Messe wählt die Aussteller bewusst aus. Es gab viele Gespräche, wenig Schlaf - und das gute Gefühl, dass das neue Konzept gleich bei der Premiere zur Heimtex ein voller Erfolg war. Erstmals hat das Unternehmen, das Michael Bauer gemeinsam mit seinem Bruder Gert führt, an seinem Stand um das traditionelle Sortiment von Bett- und Tischwäsche aus hochwertigem Damast kleine Wohlfühlwelten arrangiert. Auf dem Bett, bezogen mit der neuesten Kollektion, liegen Schlafmasken und Slipper-Hausschuhe. An einem Warenpräsenter hängt ein Morgenmantel, daneben sind Handtücher und eine kuschelige Mohair-Decke drapiert, alles aufeinander abgestimmt. "Schlafraum und Bad sind nicht mehr getrennt, sondern eine Einheit", beschreibt Michael Bauer den Trend.
"Uns war klar, dass wir mit unseren hochwertigen Produkten immer eine Chance haben."
Michael Bauer Unternehmer
Mit diesem so genannten Shop-in-Shop-Konzept schaltet sich der Textilproduzent in den Vertrieb ein; möchte seine Erzeugnisse in Szene setzen. "Wir wollen den Kunden neugierig machen und die verschiedensten Sinne anregen", sagt Bauer.
Mit Gespür für Zeitgeist und die Märkte führen die Brüder seit zwanzig Jahren die Geschäfte. Der über einhundert Jahre alte Betrieb im Zentrum von Aue war ihre Kindheit und Jugend, die Villa über lange Zeit ihr Zuhause. 1882 übernimmt die Berliner Baumwollfirma Samuel Wolle die seit 1867 in Aue existierende Geißlersche Weberei und überträgt die Leitung Alwin Bauer. Ab 1915 ist Alwin Bauers Sohn Curt Mitinhaber, bald Firmenchef und Alleineigner. Die Kommandit-Gesellschaft wird 1926 zur S. Wolle GmbH. Die Nationalsozialisten erzwingen in den 1930er Jahren die Umbenennung in Curt Bauer.
Curt Bauer protestiert gegen die unmenschliche Behandlung der in der Auer Rüstungsproduktion Beschäftigten und wird der Wehrkraftzersetzung bezichtigt. Um Haft und mutmaßlicher Hinrichtung zu entgehen, wählt er 1944 den Freitot. Die Söhne Alexander und Wolfgang führen den Betrieb weiter. 1972 wird die Familie enteignet, Alexander Bauer bleibt Betriebsdirektor.
Er stellt 1990 den Antrag auf Reprivatisierung. Seine Söhne Michael und Gert führen die Firma seit 1. Juli 1990. Michael verantwortet die kaufmännische Leitung, Marketing und Vertrieb, Gert Produktion und Technik. Die Voraussetzungen zum Start sind nicht rosig: der Maschinenpark ist alt und die Gebäude verschlissen. Produziert werden nur rechteckige Tischwäschegrößen, keine runden oder ovale. Für die Brüder, die beide in Dresden Textiltechnik studiert haben, ist das eine Herausforderung. "Wir haben nicht lange überlegt, den Betrieb zu übernehmen", sagt Gert Bauer. Beide treibt dabei nicht nur vordergründig das Ziel, den Familienbetrieb zu erhalten, sondern eher vielen Menschen aus Aue und Umgebung Arbeit zu geben und anerkannte Produkte herzustellen.
Die ersten Jahre sind nicht leicht. Während westdeutsche Betriebe in Billiglohnländer expandieren, kämpfen ostdeutsche Reprivatisierer selbstbewusst um ihren Platz im Wettbewerb. "Uns war klar, dass wir mit unseren hochwertigen Produkten immer eine Chance haben", meint Michael Bauer. Gleich 1990 werden 15 neue Maschinen gekauft: "Das war eine große Motivation für die Mitarbeiter."
Das Unternehmen entwickelt sich sehr gut. Doch der August 2002 bringt Hochwasser. Es verwüstet den Bereich Veredlung, lässt die Verbindungsbrücke im Betriebsgelände einstürzen, macht produzierte Ware unbrauchbar und hinterlässt einen Gesamtschaden von neun Millionen Euro. Doch die Bauer-Brüder sind im Krisenmanagement geübt: "Wir hatten viele Helfer, die Unterstützung hat wie ein Uhrwerk funktioniert." Von März bis Oktober 2003 wird die Veredlung rekonstruiert, die Stoffe in Betrieben der Region behandelt. "Es war logistisch und organisatorisch anspruchsvoll, aber die Kunden mussten nicht darunter leiden", meint Gert Bauer.
Seitdem hat sich viel getan. Neben Tisch- und Bettwäsche, Objekttextilien für Hotel- und Gastronomie, Kirchentextilien, Stoffe für Flugzeuge, Jacquardgewebe und Damast für Bekleidung produziert der Betrieb nun auch für den Wachstumsbereich technische Textilien und beliefert die Automobilindus-trie. Gut 60 Prozent der Erzeugnisse gehen ins Ausland, an Kunden in Europa, den Golfstaaten, Nordamerika, Fernost, Russland und Westafrika. Seit 1994 hat sich der Umsatz verdoppelt, es werden 120 Mitarbeiter beschäftigt. 12 Lehrlinge werden derzeit in Berufen wie Maschinen- und Anlagenführer Weberei und Veredlung, Fachlagerist sowie im kaufmännischen Bereich ausgebildet. "Die Berufe, die wir brauchen, gibt es nicht so oft und deshalb bilden wir unseren Nachwuchs selbst aus", sagt Michael Bauer. Gute Leute zu bekommen sei nicht einfach. Noch immer gebe es falsche Vorstellungen über die Arbeitsbedingungen in Textilfirmen. Laut, finster und schmutzig ist es aber schon lange nicht mehr in den Werkhallen.
Und während die beiden Brüder in den besten Jahren noch viele Pläne haben, arbeitet sich der Unternehmer-Nachwuchs bereits ein. "Sohn und Tochter arbeiten hier und ich hoffe, wir können einmal auf sie zählen", sagt Michael Bauer.
Quelle: Freie Presse, Ausgabe Annaberger Zeitung, 29.01.2011