Nacht der Wissenschaft und Wirtschaft - Ein Professor, der rockt

Einen Abend Forscher und Unternehmer hautnah erleben - das können Interessierte am Samstag. Einer der viel zu erzählen haben dürfte, ist Matthias Reich. Er ist Wissenschaftler, Gitarrist und Sänger, noch dazu leidenschaftlicher Zeichner von Comics. Sein Weg führte ihn in Länder, in denen Gewalt zum Alltag gehört. Doch das spannende Leben hängte er vor Jahren für einen Schreibtischjob in Freiberg an den Nagel.

 

FREIBERG - Da war das glutrote Feuer und die pechschwarzen Rauschschwaden. Da waren die Fontänen voller Wasser, die sich auf dieses flammende Inferno im Meer ergossen. Als die Bohrinsel "Deep Water Horizon" am 20. April 2010 im Golf von Mexiko explodierte und eine Ölkatastrophe schier unglaublichen Ausmaßes begann, suchte die Welt nach Erklärungen. Matthias Reich, seit 2006 Professor für Bohrtechnik an der Bergakademie in Freiberg, konnte sie liefern. Und zwar mit der ihm eigenen Sprache: anschaulich, schnörkellos und nie langweilig. Reich tauchte in fast jeder Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen auf. Interviews von ihm erschienen in Zeitungen und Zeitschriften. Seine Stimme war immer und immer wieder im Radio zu hören.

 

"Ich kam damals kaum zu meiner Arbeit", sagt er heute, mehr als ein Jahr später, und lehnt sich gemächlich in seinem Stuhl zurück. An der Bergakademie beschäftigt sich der 52-jährige Vater zweier erwachsener Kinder neben der Tiefbohrtechnik und den Tiefbauspezialausrüstungen auch mit Bergbaumaschinen. "Das ist ein unglaublich spannender Job", sagt er und lacht herzlich auf. Fast könnte man es glauben, wäre da nicht seine erlebnisreiche Vergangenheit. Ab 1990 war der studierte Verfahrenstechniker bis zu seinem Ruf an die Freiberger TU nämlich als Entwickler für eine Firma aus Celle mit Hauptsitz im amerikanischen Texas tätig, die Bohrgeräte für die Öl- und Gasindustrie herstellt. Jahrelang tourte er in der Welt herum - egal ob in Afrika, Asien, Europa oder Nord- und Südamerika. "Es ging um die Einführung neuer Hochleistungsbohrsysteme", erklärt er.  Seine Reisen führten ihn nicht nur zu den Lagerstätten riesiger Öl- und Gasvorkommen, sondern auch in Länder, in denen Gewalt und Verbrechen zum Alltag gehören. "In Angola lagen kugelsichere Decken neben den Betten", sagt er, als wäre dies das Selbstverständlichste der Welt. In Kolumbien, erzählt er, wurden die Mitarbeiter der Firma in Autos mit verspiegelten Scheiben rumkutschiert, damit potenzielle Entführer nicht ins Innere blicken konnten, auf dem Beifahrersitz ein Leibwächter mit Maschinenpistole im Anschlag. "Wenn man sich an die Spielregeln hält, passiert einem nichts", zeigt er sich überzeugt. Schließlich würde in der Öl- und Gasindustrie "sehr, sehr großer Wert" auf Sicherheit gelegt. Wie viele Überlebenstrainings er im Laufe dessen absolviert hat, lässt sich nur erahnen. "Es werden alle Eventualitäten durchgespielt", sagt Reich. Und zwar regelmäßig. Wie reagiere ich richtig, wenn der Hubschrauber, der einen zur Bohrinsel bringen sollte, abstürzt? Wie überlebe ich im kalten Wasser, bis Rettung naht? Fragen wie diese prägten auf Jahre seinen Alltag; jetzt sind es die Fragen seiner Studenten in den Vorlesungen. "Die Arbeit mit jungen Leuten macht richtig Spaß." Er erzählt von intelligenten Bohrköpfen, holt dazu Bohrkerne aus dem Schrank, erklärt, dass sich in den Poren von Gesteinen neben Erdöl auch Lagerstättenwasser und Erdgas befindet. Die Geräte seien "Hightech vom Feinsten". Nur das allerbeste Material komme in der Tiefbohrtechnik zum Einsatz. Ein Blick auf die Kosten macht das Warum deutlich. "Wenn nur ein wenige Cent teures Teil am Bohrgerät kaputt geht und ausgetauscht werden muss, ruht die Arbeit auf der Bohrinsel." Matthias Reich lehnt beide Arme auf den Tisch, beugt sich vor: "Das kostet pro Tag eine Million Euro." Seine Forschungen beschäftigen sich denn auch damit, wie schneller und somit billiger gebohrt werden kann. Und zwar im harten Gestein, das Verfahren heißt deshalb Hard-Rock-Drilling.  Privat mag er es ebenfalls hart und rockig. Er ist Gitarrist und Sänger in der Band Jung und Reich, ein Student spielt Bass und Klaus Spitzer, Professor für Geophysik, sitzt an den Drums. "Musik mache ich solange ich denken kann", sagt er. Es gibt Fotos von Konzerten aus den frühen 1980er-Jahren, die Matthias Reich mit Bart und langen blonden Haaren zeigen. Seinerzeit studierte er schon an der TU Clausthal Verfahrenstechnik.  Sein Leben hätte aber auch ganz anders verlaufen können. "Ich zeichne seit meiner Kindheit leidenschaftlich gerne Comics." Hinter seinem Rücken hängt ein Skizze eines Arbeiters, der an einem Bohrturm steht, an der Wand. Die Illustrationen seines zuletzt veröffentlichten Buches stammen von ihm. Er lacht. Nach dem Abitur wollte er unbedingt Trickfilmzeichner werden. "Bei der Berufsberatung haben die mir dann gesagt: ,Machen Sie etwas Vernünftiges.'" Bereut scheint er seinen Entschluss nicht zu haben: "Ich bin gerne in Freiberg, und ich will hierbleiben." Bei der Nacht der Wissenschaft und Wirtschaft referiert Matthias Reich nicht nur 19 Uhr im Hörsaal des Werner-Arnold-Baus über die Herstellung extremer Bohrungen, sondern er tritt auch mit seiner Band in dessen Innenhof ab 20.20 Uhr auf. (Alexander Christoph) Quelle: Freie Presse, Ausgabe Freiberger Zeitung, 17.06.2011