Hühner in allen Farben: Firma setzt auf Nischenproduktion
VON GUDRUN MÜLLER
WOLKENSTEIN - Nicht viele Unternehmen im Erzgebirge können solche persönlichen Einträge im Internet-Gästebuch vorweisen wie die Willibald Böhm GmbH in Wolkenstein. Es sind kleine Geschichten rund um die aktuellen Erzeugnisse der Marke Sonja-Plastic: Da wird die Freude über den DDR-Tropffänger für die Kaffeekanne geschildert oder mitgeteilt, wie die Hühnereierbecher Erinnerungen aus Kindertagen geweckt haben. Ein neues Sieb wurde bestellt, das alte habe immerhin 30 Jahre gehalten, und der Kaffeepulver-Löffel mit Pinsel nach 20-jähriger Suche endlich wiederdeckt.
Jeder Kunde, der aus dem Osten stammt, wird angesichts der Palette von gut 400 Artikeln, die aus früheren Jahren vertraut sind, schmunzeln: Da sind der Eierschneider, die dünnen Filter aus Kunststoff für den Dauergebrauch bestimmt oder der in Plastereifen zusammenklappbare Trinkbecher, der Tiefseetaucher für die Badewanne und die Hühner: Bunte lustige Eierbecher, mittlerweile auch in Form von Hahn und Küken als Frühstückssortiment.
Artikel als ein Stück Heimat
Und doch vermeidet Norman Franz, er ist Leiter des Vertriebs, das Wort Ostalgie mit Bezug aufs Produktionssortiment: "Es sind einfach nützliche Haushaltshelfer, an denen das Herz vieler Leute hängt." Es sei eine Nischenproduktion.
Deshalb habe die ursprünglich 1880 von seinem Großvater Albert Reinhard Franz gegründete Firma aus Buchholz, die heute Reifra Kunststofftechnik GmbH heißt, vor zehn Jahren die Willibald Böhm GmbH gekauft. Die Erbengemeinschaft des 1925 gegründeten Wolkensteiner Familienunternehmens hatte damals mangels Nachfolger Verkaufsabsichten: "Mit der etablierten Marke Sonja Plastic und mit den Erzeugnissen konnten wir uns gut identifizieren. Die Produkte sind für uns ein Stück Heimat, Teil des Erzgebirges", so der 33-Jährige. Kunden seien schon manchmal überrascht, dass seine 31-jährige Schwester als junge Chefin und Alleingesellschafterin ausgerechnet Artikel produziert, die frühere in vielen Küchen der DDR ihren Platz hatten.
Das Wolkensteiner Unternehmen, das anfangs mit zur Gruppe der Reifra Kunststofftechnik GmbH gehört, agiere mittlerweile selbstständig. Zu Umsatzzahlen hält sich Norman Franz bedeckt. Die Fertigung erfolge mit zehn Mitarbeitern Kosten deckend, Jahr für Jahr sei eine leichte Steigerung des Umsatzes drin. Etwa fünf Prozent davon würden mit Internetbestellungen erzielt, rund 15 Prozent betrage der Exportanteil vor allem nach Skandinavien - dort sind die Dauerfilter gefragt -, aber auch nach Ungarn, Österreich, Belgien, Holland, Kanada und den USA. Auch Ostproduktmessen werden erfolgreich besucht. Sonst setzt das Wolkensteiner Unternehmen auf Recherchen von potenziellen Händlern.
Größere Zahl von kleinen Kunden
"Wir wollen uns im Absatz breit gefächert aufstellen", sagt Norman Franz. Das Wolkensteiner Unternehmen setzt damit auf eine größere Zahl von kleineren Kunden. Denn der Ärger mit einem Großhändler war schmerzhaft und lehrreich. Dieser habe Wolkensteiner Erzeugnisse als Plagiat in China fertig lassen. "Das ist preisgünstiger, da dort offensichtlich Kosten sowie Anforderungen weit unter dem deutschen Niveau liegen", sagt Franz. Konsequenz daraus sei nicht nur die größere Kundenbreite, sondern auch die verstärkte Pflege der Marke Sonja-Plastic in der Verpackung und im Internetauftritt.
Logistik modern gesteuert
Eine große Herausforderung sei die Fertigung einer breiten Palette von Erzeugnissen in teils geringen Losgrößen. Das erfordert immer wieder ein Umrüsten und das Säubern der Spritzgießmaschinen. Dazu nutzt das Unternehmen in der Logistik moderne Steuerungselemente.
Freilich, große Gewinne lassen sich bei einer solchen Produktionsbreite mit dem entsprechenden Aufwand nicht erzielen, räumt Norman Franz ein: "Aber die Erziehung im Elternhaus war bei uns nicht auf ausschließliche Profitmaximierung getrimmt. Unsere Eltern haben uns andere Werte vermittelt, so die Liebe zu im Erzgebirge gefertigten Produkten. Auch die Ehrlichkeit und Offenheit den Kunden gegenüber", sagt der Vertriebsleiter. Und wie zur Entschuldigung fügt der junge Mann hinzu: "Mag schon sein, dass das heutzutage etwas altmodisch klingt."
Quelle: Freie Presse, Ausgabe Marienberger Zeitung, 24.02.2011