Ein Kindheitstraum führt ins Erzgebirge

Aktuell rühren rund 60 Botschafter des Erzgebirges die Werbetrommel für die Region. Zu ihnen gehört auch der Oberberghauptmann Reinhard Schmidt.

Von Alexander Christoph

Freiberg - Reinhard Schmidt kennt die Freiberger Geschichte bis ins Detail - angefangen bei der ersten mündlichen Überlieferung des Bergrechts 1233 bis zum Umzug des Bergarchivs ins Schloss Freudenstein 2008. Für denjenigen, der mit ihm das erste Mal spricht und hört, wie er nicht nur von der Historie der Stadt erzählt, sondern genauso vom Erzgebirge schwärmt, liegt eine Sache auf der Hand: Der Mann muss gebürtiger Freiberger sein.

Allerdings entspricht das keineswegs den Tatsachen: Schmidt wurde 1946 in der Ruhrgebietsstadt Oberhausen geboren und zog erst Anfang der 1990er-Jahre in die Bergstadt. Trotzdem könnte sich die Region kaum einen besseren Botschafter für das Erzgebirge wünschen. Denn seit Schmidt in die Bergstadt kam, um 1991 das Sächsische Oberbergamt wieder aufzubauen und es seither zu leiten, fühlt er sich dort heimisch: "Das Erzgebirge ist Teil meines Herzens", sagt er und lehnt sich in einem Ledersessel zurück.

Hinter dem Rücken thront auf dem Bücherregal seines Büros eine Abbildung des Annaberger Bergaltars von 1521. "Das ist die berühmteste Darstellung des bergmännischen Lebens aus der frühen Neuzeit", erklärt er. Statt weiter von seinem Botschafteramt zu berichten, lenkt Schmidt geschickt die Unterhaltung in eine andere Richtung.

Er erzählt von den Anfängen des Bergwesens und vom Hüttenwesen, bis heute andauernd. Er ist in seinem Element, die Worte sprudeln. Es geht um die Landschaft , den Dialekt , den Erzgebirger an sich, die Bedeutung des Bergbaus für die Region. Er philosophiert über die Nachhaltigkeit, die Politiker in ihren Sonntagsreden oft beschwören, und erklärt, dass diese vor fast 300 Jahren in Freiberg von dem Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz begründet wurde. Ach, überhaupt seine Vorgänger im Amt, sagt er und setzt ein spitzbübisches Schmunzeln auf. "Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, hatte ich nur einen Wunsch: Oberberghauptmann in Freiberg werden."

Dieser Kindheitstraum, so seltsam er für Außenstehende klingen mag, verwundert nicht, wenn man auf Schmidts Herkunft blickt: "Meine bergmännischen Wurzeln reichen acht Generationen zurück." Reinhard Schmidt pendelt gedankenverloren seine Brille hin und her, die er mit Daumen und Zeigefinger hält, und betrachtet ein Foto an der Wand. Es zeigt ihn, wie er 1970 als Hauer in der Bochumer Steinkohlegrube Hannibal arbeitet. Damals studierte er wie viele seiner Vorfahren an der TU Clausthal (Niedersachsen) Bergbaukunde. Jahrzehntelang sei die Erfüllung seines Traumes "reine Phantasterei" gewesen. Noch während er im Herbst 1989 den Fall der Mauer im Fernsehen fasziniert, beinahe ungläubig beobachtete, schöpfte er erneut Hoffnung. Damals war er Referent im Bundesumweltministerium in Bonn. "Das war ein Glücksfall. Ich konnte mir aussuchen, wohin ich wollte", sagt er. "So wechselte ich ins sächsische Wirtschaftsministerium mit dem Ziel, die Oberste Bergbehörde von Leipzig nach Freiberg zu holen."

Das hat er bekanntlich erreicht. Im November endet seine Amtszeit. Wird vielleicht in ferner Zukunft eines seiner fünf Kinder in seine Fußstapfen treten? "Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben", sagt Reinhard Schmidt. Beide Söhne haben sich für etwas anderes entschieden, auch die älteste Tochter. "Die zweitjüngste Tochter macht gerade Abitur und hat gesagt: ,Wer sagt, dass ich nicht Bergbau studiere?'" Reinhard Schmidt lächelt zufrieden.

Da fällt ihm ein, dass sich das Gespräch eigentlich um den Ehrentitel des Botschafters des Erzgebirges drehen sollte. "Als klar war, dass die niederländische Königin Beatrix Dresden besucht, habe ich mich dafür eingesetzt, dass dort die Schneeberger Bergkapelle spielt." Da ist es wieder, das spitzbübische Grinsen. Dass der Oberberghauptmann nicht aus der Region stammt, ist längst vergessen. Zu sehr wirbt er mit fast jedem Satz - unbewusst oder nicht - für das Erzgebirge.

Quelle: Freie Presse, Ausgabe Freiberger Zeitung, 04.05.2011