Punk und Trödelkönig

29.03.2022

Eine skurrile Komödie in einem Akt, die für den Hauptakteur gelebter Alltag ist.

Komödie in einem Akt. 

Ralph Geisler steht vor seiner Mühle, die Hände in den Hosentaschen, den Kopf leicht schief in den Nacken gelegt, um die Augenwinkel ein verschmitztes Grinsen. So kenne ich ihn seit 30 Jahren. Damals sprangen wir wie die Wilden bei dreckigem Punkrock durch den Saal im „Deutschen Haus“ in Grünhainichen, hingen in Abrisshäusern rum und probten die Anarchie.

Heute herrscht der Altpunk über ein Imperium der Kuriositäten, Raritäten und Fantastereien. Die Anarchie regiert bei ihm noch immer. Seine Sprüche muss man abkönnen, seinen Humor verstehen. Und so entspinnt sich bei meinem Besuch in der Rochhausmühle ein höchst vergnügliches Theaterstück mit dem verrückten Antiquitätenhändler als Hauptdarsteller und immer neuen Kunden als willkommene Stichwortgeber für die niemals ganz ernst gemeinte, aber immer gepflegte Konversation.

Sylva: Mensch, Ralph, ich dachte, ich hab‘ einen Termin mit Dir – und jetzt steht hier der ganze Parkplatz voll und die halbe Straße ist zugeparkt. Hab‘ ich was verbrummt?

Ralph: Nee, nee, komm rein – Donnerstag ist hier der ruhigste Tag. Setz Dich hin, mach’s Dir schön warm am Kamin, ich bin gleich bei Dir.

Älterer Herr,mit einem undefnierbaren Block in der Hand: Was ist das hier? Ein Stück Kernseife?

Ralph:Na klar, kennste nicht? Damit haben wir uns früher die Haare gewaschen, weil die danach so schön abstanden, stimmt’s Sylva? (grinst in meine Richtung)

Kunde deutet auf einen Weihnachtsmann in einer Vitrine: Was soll der denn kosten?

Ralph: Wir befinden uns hier in der Oberliga, mein Herr. Ernst Hunger aus Gornau, um 1940, gemacht für die Rasmussen-Kinder vom DKW-Werk in Zschopau, deren Väter im Krieg waren. Pass auf, ich geb‘ ihn Dir für 430. Die meisten geben 450.

Zu mir:So, nun zu Dir, meine Gute. Was willst Du denn wissen? Du weißt doch schon alles.

Sylva:Ich dachte, Du erzählst mir einfach mal was.

Ralph (zu seiner Liebsten): Anett, mach der Sylva mal ‘nen Tee. Und bring ihr paar Kekseln. Das kann dauern (setzt sich mit an den Kamin). Also … ich hatte schon immer überlegt, wie ich mein Hobby zum Beruf machen kann. Altes Zeug hab‘ ich schon immer gern gesammelt. Aber in der DDR einen Antikladen aufmachen? Unmöglich. Doch mit der Wende kam der große Blitz. Die Leute stellten ihre alten Sachen einfach an die Straße. Das kam mir beim Beschaffen meines Startkapitals mächtig zugute.

Kundin kommt mit einem Geweih im Arm, das sie ihm verkaufen will.

Ralph:Da ham Se aber einen schönen Bock geschossen. Ich leg ihn mit an den Kamin, kost‘ dann zwei Euro extra.

Am Anfang haben sie mir auf dem Dorf nicht nur einen Vogel gezeigt, sondern zwei.

Am Anfang haben sie mir auf dem Dorf nicht nur einen Vogel gezeigt, sondern zwei. Der will hier am Arsch der Welt einen Antikladen aufmachen – das wird doch nie was! Heute kommen die Leute von sonstwoher. Manche legen sogar ihren Urlaub extra so, dass wir aufhaben. Und dann geht die Türe auf und sie sagen: ‚Oooorr endlich wieder hier! Ich hatte schon Entzugserscheinungen.‘ Es kommt eben auf die Branche an – und auf Herzblutmenschen, denen für uns kein Weg zu weit ist.

Kunde, mit zwei alten Stühlen unterm Arm: Geht hier noch was an dem Preis?

Ralph:Ich erklär Dir jetzt mal, wie Du Geld sparen kannst. Du fährst zur Tankstelle, tankst für siebzig Euro, und dann sagst Du zu der Püppi an der Kasse, dass Du nur fünfzig zahlen willst. Das Geld, was Du da gespart hast, bringste dann hierher.

Wieder zu mir: … mit dem Geld, das ich an der Straße gefunden hatte, hab‘ ich mir ein altes Fachwerkhaus ausgebaut. Aber mit so einem Zweieinhalb-Zimmer- Lädchen kommste nicht weit. Die Leute wollen Vielfalt. Ende der Neunziger stand dann die alte Mühle hier zum Verkauf. Runtergekommen, totale Ruine. Jetzt dreht er völlig durch, haben die Leute gesagt. Aber ich wusste, was das mal werden sollte. Denn ich hatte irgendwo mal einen Riesen-Antikhandel gesehen, voll mit alten Sachen, und war völlig verblüfft gewesen. Diese Verblüffung wollte ich an meine Kunden weitergeben.

Der Staub ist übrigens im Preis enthalten

Eine selig lächelnde Berlinerin mit weißem Hündchen kommt rein. Sie hat zwei alte Räuchermännchen im Arm und fragt nach dem Preis.

Ralph:Kosten 30 Euro. Der Staub ist übrigens im Preis enthalten.

Kunde kommt mit einer Kiste voll mit alten Mangeltüchern, die er ihm verkaufen will. Die Mangeltücher fahren später dann gleich mit mir nach Hause. Perfekt als Tischdecken – ich konnte nicht widerstehen.

Ein Belgier tritt ein, in der Hand zwei alte Industrielampen: Was kosten die?

Ralph:Wie viel ist 80 plus 80?

Belgier:150.

Ralph:Nee. 140. Ich hab’ Abitur, Mensch!

Belgier (glücklich lachend): Deal.

Ein junges Mädchen wühlt schon seit einer halben Stunde verzückt in einer Schmuckkiste. Endlich traut sie sich zu fragen: Ist der Ring aus Silber?

Ralph:Echt Gold, mein Mädel. Zwei Euro. Ja, wir sind Kumpels hier.

Neukunden treten ein, etwas verunsichert von all der Fülle.

Ralph begrüßt sie: Hier im Laden werden Sie sofort geradegerückt. Wir erwarten Umsätze im vierstelligen Bereich. Mindestens. Wo ein Loch in der Wand ist, können Sie durchlaufen. Es geht drei Etagen nach oben bis auf den Spitzboden. 

Eine Stunde später verlassen sie den Laden glücklich mit zwei alten Gießkannen.

Ralph springt auf, öffnet ihnen die Tür: So, nun gebt mir mal das viele Geld. Kassieren ist das Einzige, was ich richtig kann … hmmm … wieder nix mit vierstellig.

 

Kunde guckt um die Ecke: Gibt’s hier auch was zu trinken?

Ralph:Drüben steht ’ne Kaffeemaschine. Hauste ’ne Mark oben rein, kommt ’n Kaffee unten raus. Daneben steht ein altes Gurkenglas, Kasse des Vertrauens – Kekse und kalter Hund. War von meinem letzten Geburtstag noch übrig.

Zwei ältere Leute kommen rein mit einer Tüte.

Ralph guckt durch, ob was für ihn dabei ist: Das alte Liederbuch kannste gleich wieder mitnehmen. Kannste Dir heute Abend selber was draus singen. Manche kriegen Geld fürs Singen, andere fürs Aufhören.

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Singen – das ist mein Stichwort. Bin ja lange nicht zu Wort gekommen: Ralph? Erzähl nochmal was von Deinen legendären Konzerten.

Ralph:In meiner Scheune hab ich ’ne Bühne zusammengezimmert – weißte ja. Und wenn’s mich rafft, dann hol ich sie nochmal ran, die ganzen Leute. Punk, Ska, Theater, auch mal anarchistisches Lesen – jeder kriegt 10 Minuten Zeit und liest, was er will. Unser nächstes Projekt: Wir bauen grad ‘ne kleine Gaststätte hier auf dem Hof. Im Dreißigerjahrestil – ich werd‘ ja alt.

Ich hab Ihnen schon den Arme-Leute-Preis gemacht

Eine Kundin hat eine alte Spieldose und noch ein bisschen Nippes gefunden. Gesamtpreis 110 Euro. Sie versucht , zu handeln: Das geht doch bestimmt für 100?

Ralph:Niemals! Ich hab Ihnen schon den Arme-Leute-Preis gemacht. Wenn Sie die Spieldose beim Blank neu kaufen, kost’ se 100 Euro mehr.

Antikhandel Ralph Geisler Rochhausmühle

Rochhausmühle 1

09579 Grünhainichen

Fon : 037294 1653

Email : rochhausmuehle@web.de

Das Telefon klingelt. Ein Händler ist dran, will morgen einen Termin.

Tut mir leid, mein Herr, meine Sprechstunde ist Mittwoch, Donnerstag, Samstag. Samstag kommste lieber nicht, da ist hier Hauptkampftag. Da haste keine Überlebenschance hier drinne. Und wenn hier zu ist, räum ich Häuser aus. Da hab‘ ich keine Zeit.

Zu mir:Ich will schon seit fünf Jahren in die Pilze und schaff‘s nicht. Zum Glück gibt‘s nette Bürger, die mir ab und zu einen Korb vorbeibringen aus meinem eigenen Wald.

Kundin mit der Spieldose: Haben Sie sich’s nochmal überlegt?

Ralph:Hallo? Sie ham hier grad ‘nen Hunni gespart – freu’n Se sich und machen Se ‘ne Polonaise ums Haus!

Ein älterer Herr will noch so einen Tisch, wie er letztens gekauft hat.

Ralph: Hab ich Dir den Tisch eigentlich mit oder ohne Kaugummis untendrunter verkauft ? Ohne? Ach schade! Am besten sind immer die Kneipentische – die kleben so schön am Knie.

Kundin mit der Spieldose: Geht’s nicht doch vielleicht für 100?

Ralph rastet gespielt aus: Ich kann’s Dir auch noch vorsingen, wenn Du’s nicht verstehst! (in schönster Volkslied-Melodie): Billscher wird’s ni, da kannste mit’m nackschen Arsch an de Decke hupp’n!

Kundin kauft die Spieldose für 110.

Als ich nach drei Stunden gehe, habe ich fast mein ganzes Honorar für diese Story hier verbraten. Dafür habe ich jetzt einen ganzen Wäschekorb (gab’s gratis dazu) voll altes Silberbesteck, echte alte Stroh-Halme zum Daraus-Trinken (ja, daher kommt das Wort!) und zwei Art -déco-Aktenschränke aus Stahl, die ich schon immer haben wollte. Ach ja, noch die Mangeltücher, die er mir gleich weitergereicht hat … und drei alte Holzfiguren aus der ehemaligen Fabrik meines Vaters, die Ralph immer extra für mich aufhebt. Das Ganze zum absoluten Schnäppchenpreis. Ich bin gut gesättigt von Keksen und Tee, vom Kaminfeuer aufgewärmt, voller Geschichten und rundum happy – so wie alle, die heute mit mir hier bei diesem Theaterstück waren.

Text: Sylva Michélé Sternkopf
Fotos: Anna Werner