Die Zwei Damen vom Dach

28.04.2020

Meisterlich, wie bei diesen Powerfrauen Handwerk , Familie und Unternehmen zusammengehen.

Gerda Hofmann

  • Wohnort: Thum/ OT Herold
  • Freizeit: Hundesport (Rauhaardackel Fritz und Lotte, Dobermann Mila), in die Schwamme gehen
  • Typisch: ambitioniert und anpackend
  • Was glücklich macht: „Das Feuer machen im gusseisernen Ofen im Büro. Die gemütliche Wärme, das Knistern vom Holz.“

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Nicole Brödner

  • Wohnort: Thum/ OT Herold
  • Freizeit: Motorrad fahren, Laufen, Skifahren
  • Typisch: beharrlich und beherzt
  • Was glücklich macht: „Der Moment, wenn du oben auf dem Kirchturm bist. Diese Aussicht belohnt vieles.“

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Heute ist ein echter Dachdeckertag. Nicht zu warm, nicht zu kalt.

Nicole Brödner blickt in den weiß-blauen Septemberhimmel. Der Mix aus Sonne und Wolken verspricht, dass es heute auf ihren Baustellen läuft. Die 32-Jährige ist Dachdeckermeisterin, genau wie die Mittdreißigerin Gerda Hofmann. Was die zwei Frauen verbindet? Beide pfeifen auf das traditionelle Rollenbild. Beide sind Ausnahmen in einer von Männern dominierten Branche, beide führen ihren eigenen Betrieb. Jede für sich mit jeweils fünf bzw. sechs Mitarbeitern. In Herold, einem Flecken, wo jeder jeden kennt. Keine zwei Kilometer voneinander entfernt. Überhaupt erhärtet sich der Verdacht, dass hier ein Nest von Dachdeckereien sein muss. Allein in und um die Kleinstadt Thum gibt es sechs solcher Gewerke. Woran das liegt?

„Vielleicht sind die Familienbetriebe die Erklärung. Wir sind eine Dachdeckersippe. Uropa, Großonkel, Opa, Vater – alle den gleichen Beruf“, kommentiert Gerda Hofmann meinen Eindruck. Nicole Brödner ergänzt: „Mein Vater hat immer ausgebildet. Einige der Gesellen machten sich selbstständig; manch einer auch in unmittelbarer Nähe. Ich zum Beispiel arbeite jetzt als sechste Generation in dem Handwerk.“ Anderthalb Jahrhundert Wissen, das stets von Mann zu Mann bzw. Frau weitergegeben wurde. Die Ausbildung sei nur der Anfang, die Meisterschule das nächste Level. Bis man zu einem Allrounder wird, braucht das Jahre.

„Man kommt von den Meisterkursen und hat eigentlich keine Ahnung von Preisgestaltung oder der eigenen Vermarktung“, meint Nicole Brödner. Deshalb nimmt sie ihr Vater peu à peu in die Verantwortung. „Wie viele Minuten bietest du für einen Quadratmeter Dach herunterreißen an? Keine Vorstellung davon. Das Ausmessen, die Angebote, die Arbeitsvorbereitung – haben wir zusammen gemacht. Bis ich sicher war.“ Mehr als fünf Jahre dauert das Ganze. Zeitgleich fasst Bernd Brödner den Entschluss, kürzer zu treten und schließt 2013 seinen Betrieb. Die Tochter, die 2007 jüngste Dachdeckermeisterin Deutschlands und Sachsens ist und seit 2009 ihre Ein-Frau-Firma führt, vergrößert sich und wird Chefin seiner Mannschaft.

Egal, wie heiß oder frostig es draußen war, es gab kein Pardon.

Gerda Hofmann geht zunächst ganz andere Wege. Nach dem Abschluss der Oberschule wird sie Gestaltungstechnische Assistentin, besteht danach ihr Fachabitur und will in Schneeberg Möbel- und Produktdesign studieren. Ein Wartejahr macht ihrem Wunsch einen Strich durch die Rechnung. „Alles, aber keine Zwangspause. Ich werfe alles über den Haufen, mach‘ jetzt etwas ganz Verrücktes und werde Dachdeckerin“, konfrontiert sie ihre Eltern. Logisch, dass deren Reaktion zunächst verhalten ausfällt. Mit dem Wissen, was auf sie zukommt, wächst sie über sich selbst hinaus und zieht ihren Entschluss durch. „Die Lehre bei meinem Vater war hart, sehr hart. Egal, wie heiß oder frostig es draußen war, es gab kein Pardon. Ich musste selbst bei minus 15 Grad aufs Dach. Das hat mich angestachelt, meinen Ehrgeiz geweckt.“ Sie misst sich auch außerhalb des elterlichen Betriebes, nimmt als 23-jährige Gesellin 2007 am Landesleistungsvergleich der Dachdecker in Bad Schlema teil und gewinnt. Als Erstplatzierte reist sie zum Bundesausscheid nach Karlsruhe und ist erneut die einzige Frau unter Männern. Ihre Arbeitsprobe entspricht dem Niveau einer Meisterprüfung: Einlatten und Decken einer Dachfläche mit Grat und Kehle einer Biberschwanz-Doppeldeckung. In dieser Aufgabe zeigt sie sich, den Eltern und der Jury, dass sie die Dachdeckerei von der Pike auf gelernt hat.

Hinter jeder starken Frau steht eine starke Frau.

Nicole Brödner und Gerda Hofmann sind der Beweis dafür, dass sich im Handwerk einiges wandelt. Das bestätigen die sächsischen Handwerkskammern. Seit ca. 20 Jahren beobachten sie die Tendenz, dass zunehmend mehr Frauen Alleininhaberinnen von Betrieben sind. Im Kammerbezirk Chemnitz gibt es knapp 18.000 Handwerks-Einzelunternehmen. Mehr als 22 Prozent davon werden von weiblicher Hand geführt. 1999 waren es hingegen nur 16 Prozent. Es gibt noch einen Fakt, der überrascht: Das Erzgebirge hat die meisten Handwerksbetriebe und damit die größte Handwerksdichte Sachsens.

In diesem Kontext bricht die Generation der beiden mit Klischees.

Dieses Schubladendenken Mann/Frau ist kompletter Blödsinn. Es ist so etwas von egal. Hauptsache, wir machen gute Arbeit.

Darin sind sich beide einig, obwohl sie immer noch gegen Rollenbilder anrennen. „Habt ihr heute den Lehrling mit?“, lautet einer der wohl nervigsten Sätze. Mittlerweile perlen solche Sprüche ab, doch der Spagat zwischen Beruf und Familie bleibt. Er gelingt ihnen, weil sie genau definiert haben, was ihnen wichtig ist. Erst kommt der Betrieb, dann Kind und Partner. „Ohne meine Eltern im Hintergrund würde der Laden nicht laufen. Dreiviertel sechs am Morgen sitzt der Kleine mit uns am Esstisch. Angezogen, Frühstück fertig. Tippi toppi. Zum Glück ist er kein Langschläfer, denn bei Brödners fängt der Tag um sechs Uhr an: Lager aufschließen, Arbeiter einteilen, los geht‘s. Nachmittags um drei hole ich ihn dann ab.“ Bei Hofmanns läuft es eher umgekehrt. Der Partner übernimmt die „Frühschicht“; weist die Mitarbeiter ein. Denn der frühe Morgen gehört Mutter und Tochter, der Rest des Tages dann der Firma. „Wenn die Männer von der Baustelle kommen, frage ich nach dem Stand der Dinge, kläre den Ablauf für den nächsten Tag und dann verschwinde ich bis abends im Büro“, beschreibt Gerda Hofmann ihren Arbeitsalltag. Ein weiterer Fixpunkt ist die gemeinsame Mittagspause. „Meine Oma Ursula kocht jeden Tag. Das lässt sie sich mit ihren 86 Jahren nicht nehmen. Ohne ihre Hilfe hätte ich es wirklich schwer gehabt. Mein Baby wurde tagaus, tagein in der Kinderkutsch‘ ausgefahren. Ja, sie hielt das Ganze zusammen.“

Gerda Hofmann und Nicole Brödner schätzen das Rückenstärken von Großmutter und Mutter, die im Hintergrund Wesentliches leisten. Sei es das Wäscheabnehmen, das Lieblingsessen (Schwemmklößchensuppe bzw. Spaghetti Bolognese) zur Mittagspause auftischen, das Zuhören, Aufmuntern und Einspringen bei Fieber und Co. Dafür krempeln sie die Ärmel hoch, steigen fremden Leuten aufs Dach, klettern auf Gerüste und Firste, trotzen Schmuddelwetter und Hitze, schippen Schneemassen, köpfen meterlange Eiszapfen, kommen zeitlich vom Regen in die Traufe. Sie motivieren, entscheiden und organisieren, streiten und schlichten. Sie sind darauf stolz wie Bolle – als Chefin, Mutter, Tochter und Partnerin.

Text: Beatrix Junghans-Gläser
Fotos: Désirée Scheffel


Magazin „Herzland“

Diese Geschichte erschien zuerst im Magazin „Herzland - Gedacht.Gemacht.Erzählt“. Hier kannst du das gesamte Magazin online lesen, als PDF herunterladen oder gedruckte Exemplare nach Hause bestellen.

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