LOKALkolorit

21.08.2018

An einem Herbstnachmittag zeigt Carolin Tennstaedt, Designerin, Künstlerin und Inhaberin des Labels MACARONIE, Magda Lehnert ihr HERZland.

Der Raum wird durchflutet von hellem Licht, das durch die großen Fenster fällt, die Luft ist klar und frisch wie der Herbst, der gerade Einzug hält. Das große Zimmer ist geprägt von dem Kontrast weißer Möbelstücke und den farbenfrohen Blumenmustern, die die große Pinnwand und die vielen Tücher auf der Kleiderstange zieren. Wohin ich auch schaue – überall entdecke ich Muster in allen erdenklichen Farben, am Fenster hängen getrocknete Blumensträuße. Auf dem riesigen Arbeitstisch stehen mehrere Gläser und Schalen mit Pinseln und Stiften. Während draußen vor dem Fenster das ländliche Idyll des Erzgebirges regiert und ein Lama im Garten des Nachbarn grast, befinde ich mich hier, nur Zentimeter entfernt, in einem Raum, der wohl eher nach Berlin-Kreuzberg zu gehören scheint als in eine Eigenheimsiedlung am Rande von Annaberg-Buchholz .

Ich habe mich entschieden, mich nicht mehr aufs Glück zu verlassen.

Ich bin zu Besuch bei Carolin Tennstaedt, selbstständige Designerin und Gründerin ihres eigenen Design-Studios Macaronie. Gleich hinter der Tür zu ihrem privaten Wohnhaus arbeitet sie in ihrem Atelier an Designs für Mode und Interieur internationaler Firmen. Hier ist sie Designerin, Coach, Managerin, Lebenskünstlerin. Seit dem Ende ihres Studiums ist Carolin Schöpferin ihrer eigenen Kunst und hat sich durch jahrelange Erfahrung, Geduld, Willen und Talent als erfolgreiche Designerin etabliert. Angefangen mit eigenen Kreationen von Tüchern und Kimonos zeichnet Carolin heute vorrangig ihre Designs für den Verkauf an namhaft e Firmen in der ganzen Welt. Ihr Stil enthält neben floralen auch viele geometrische Ethnic-Muster. Eine frühere Serie hat sie an den Kunstwerken von Gustav Klimt orientiert.

„Die Tücher sind einem Kunstwerk entsprungen und zur Mode geworden”. Erst vor wenigen Tagen war sie in Paris zur Design-Messe Première Vision. Viermal war sie bereits
dort. „Jetzt lief es das erste Mal richtig gut und meine Geduld hat sich ausgezahlt“, resümiert die Künstlerin. Sie verkaufte mehrere Designs, unter anderem nach New York und an ein Modelabel in Las Vegas.

„Jeder Mensch kann irgendetwas gut.” Doch so erfolgreich, wie sie heute ist, war sie nicht immer. „Es ist einfach eine Glückssache. Ich hatte schon sehr viele ´Fast-Sachen´“, erzählt die Designerin. Topmodel Bar Refaeli trug bei einem Cover Shooting für das Magazin GQ ihr Tuch. „Ich dachte, das sei der Wendepunkt in meiner Karriere.” Die Verantwortliche hatte ihr die Titelseite zugesichert. Dann, in einer Redaktionssitzung, entschied der Redakteur, dass Bar Refaeli auf dem Bild aussehe „wie 30 Tage Regen” und wurde von der Titelseite gestrichen – mit ihr die Tücher von Macaronie. Doch selbst als Carolin diese Geschichte erzählt, lächelt sie. „Dann sollte es eben nicht sein. Ich glaube daran.” Trotzdem wurde dieser Punkt zu einem Wendepunkt ihrer Karriere, wenn auch ganz anders als gedacht.

Sie konzentrierte sich auf lukrativere Varianten, ihre Arbeiten zu verkaufen. „Schließlich muss man ja auch von etwas leben können.” So meldete sie sich zur Première Vision Paris an. „Man kann ja nicht einfach zu einer großen Firma gehen. Man braucht eben den persönlichen Kontakt und die Visitenkarte von dem, der auf der Messe vorbeikommt und sich für einen interessiert. Dann hast du den Fuß in der Tür.” Doch auch in diesem Fall war das Glück nicht auf ihrer Seite. Was vielversprechend begann, verkehrte sich ins Gegenteil. Mehrfach erhielt sie eine Förderung für die Finanzierung „des sündhaft teuren Messestandes”. Zur nächsten Anmeldung, die sie im Voraus bezahlte, blieb die Förderung aus. „Auf einmal war all mein Geld alle. Ich hatte nichts mehr.” In ihrer festen Überzeugung, dass sie niemals einem Job nachgehen wolle der ihr keinen Spaß mache, hat Carolin jahrelang mit Geduld, harter Arbeit und Durchhaltevermögen ihre Firma aufgebaut. „Ich habe versucht, nie aufzugeben.”

Jeder Cent, den sie als Designerin für ein französisches Modelabel verdiente, floss in Macaronie. Und auch jetzt – am Existenzminimum – gelang es ihr, mit der Unterstützung ihrer Familie, ihr Ideal aufrechtzuerhalten. „Der Rückhalt meiner Familie war immer meine Sicherheit. Wenn alles schiefgeht, würden sie mir sofort helfen. Diese Sicherheit, auch wenn ich sie nie in einem finanziellen Kontext genutzt habe, hat mir den Mut gegeben, das durchzuziehen.“ So gelang es ihr sogar an diesem Punkt, an ihrem Lebensideal festzuhalten: „Jeder Mensch kann irgendetwas gut – und das sollte er auch tun. Ich kann die Menschen nicht verstehen, die jeden Tag einem Job nachgehen, der sie nicht erfüllt.” Ihr Glaube zahlte sich aus.

Kurze Zeit später erhielt sie ein Angebot des Instituts für Ausbildung Jugendlicher in Annaberg-Buchholz, um dort als Kunstlehrerin zu unterrichten. Damit habe sie nicht nur eine neu gewonnene Sicherheit, sondern auch eine liebgewonnene Abwechslung zu ihrem Alltag im Atelier. „Ich nehme die Wege, die sich mir auftun.” Carolin Tennstaedt kommt aus einer Familie, in der Vater, Onkel und Opa ihren Hobbys als Maler, Fotograf, Musiker und Schnitzer nachgehen. Eine Familie „mit viel künstlerischem Potenzial”, wie sie selbst sagt. „Trotzdem hatte jeder noch einen ‘vernünftigen’ Beruf”. Also tat es Carolin ihrer Familie gleich und schloss nach der Schule ihre Lehre zur Friseurin ab. Damals traf sie ein Mädchen im Bus. Dieses Mädchen ging aufs Gymnasium, einige ihrer Freunde studierten schon. Sie nahm Carolin mit auf eine Party. „Dort lief ganz andere Musik” , erinnert sie sich. „Bis dahin kannte ich nur Anti-Anti.” Die Musik war ruhig, später fing einer der Partygäste an, auf seiner Gitarre zu spielen, ein Mädchen las Gedichte dazu vor. Was wie die Wiedergeburt der Dead Poets Society klingt, war Carolins Erwachen. Sie konnte damals nicht glauben, dass es das – ihre Friseurlehre – jetzt gewesen sein könne. „Ich fühlte mich auf einmal in meiner Kreativität eingeschränkt.” Also holte sie ihr Abitur nach und bewarb sich an mehreren Universitäten für ein Design-Studium.

Die Fakultät Angewandte Kunst Schneeberg erkannte ihr Talent. „Das war ein Zeitpunkt, zu dem ich künstlerisch noch nicht so weit war und zu dem man auch in meiner Mappe nicht gesehen hat, worum es mir eigentlich geht.” Doch sie freute sich über die Zusage: „Ich nehme die Wege, die sich mir auft un. Wenn etwas klappt, soll es vielleicht auch einfach sein.” Auch durch ihre Heimatverbundenheit zum Erzgebirge fi el es ihr nicht schwer, nach Schneeberg zu kommen. Inzwischen haben wir das Atelier verlassen. Carolin Tennstaedt zeigt mir die Umgebung und das großzügige Grundstück ihrer Schwiegereltern. 

An diesem späten Herbstnachmittag dringt warmes Licht durch den grauen Himmel, das gelbe und rote Laub hängt in den Bäumen hinter dem Haus und die Luft ist angenehm frisch. Wir spazieren durch den Garten. Als wir an einem großen Beet vorbeigehen, erzählt sie
von ihrem Wunsch, als Selbstversorger leben zu können – unabhängig von der Lebensmittelindustrie, Essen aus ökologischem Anbau, direkt vor der Tür. Dieses Bewusstsein für Nachhaltigkeit fi ndet sich nicht nur in ihrem Privatleben, sondern ist auch fester Bestandteil ihrer
Firmenphilosophie: „Für mein Label war es mir wichtig, dass alles in Deutschland produziert ist. Es gibt nicht viele Leute, doch es gibt sie, die Wert darauf legen und solche Produkte kaufen.” Bei unserem Spaziergang zeigt sie mir Details am Wegrand. Den Traktor des Nachbarn, Brombeeren am Strauch, ein Huhn am Hang. „Wenn es nicht so kalt ist, gehe ich hier gern joggen”, verrät sie. Sicher gäbe es auch viele Nachteile, in einer kleinen Stadt wie Annaberg-Buchholz zu bleiben. Berlin hat eine florierende Kunstszene, hier ist sie weit und breit die einzige Designerin.

„Es geht darum, die Nachteile zu einem Vorteil zu machen.“

Auch wenn es hier keine Szene gibt, profitiere sie von ihrer Einzigartigkeit. Viele lokale Firmen arbeiten bereits mit ihr zusammen und buchen ihre Workshops. Denn auch Berlin ist nicht der Dreh- und Angelpunkt der Welt. „Ich habe erkannt, dass die berühmten Leute dort genauso sind wie wir. Und Berlin im Winter ist mega-hässlich”, wirft sie auf einmal ein, „hier ist alles schön geschmückt.” So sehr sie die Zeit in Paris und Berlin zuletzt genoss, so sehr freut sie sich immer wieder zurückzukommen. „Hier gibt es Ruhe und Grün. Das brauche ich. Genau so sehr brauche ich aber die Gegensätze. Ich kann es mir auch nicht vorstellen, immer und die ganze Zeit hier zu sein. Ich kann es mir aber auch nicht mehr vorstellen, die ganze Zeit in einer Stadt zu wohnen. Die Mischung ist es.” Nach unserem Spaziergang genießen wir die letzten Sonnenstrahlen des Tages bei einem Cappuccino auf der Terrasse. Wir sind abgeschweift, reden übers Reisen und schwärmen von den Landschaften Südafrikas und dem Gedanken ans Durchatmen. Carolin erzählt so leidenschaftlich von den Formen und Farben der Pflanzen, die sie auf ihren Reisen entdeckt hat, kennt jeden Namen und jede Eigenschaft, als hätte sie heimlich ein Lexikon unter dem Tisch versteckt.
Ein Geschenk, tun zu können, was man liebt, denke ich mir.


Magazin „Herzland“

Diese Gechichte wurde auch im Magazin „Herzland - Gedacht.Gemacht.Erzählt“. Hier kannst du das gesamte Magazin online lesen, als PDF herunterladen oder gedruckte Exemplare nach Hause bestellen.

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